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Dossier Matt Mullican

 
 
Performance Untitled

Der Konzeptkünstler und Bildhauer Matt Mullican ist das, was man einen Ausnahmekünstler nennen würde. Seit Beginn der 1970er-Jahre arbeitet er konsequent an der Systematisierung seiner höchst subjektiven Sicht der Welt, an einem eigenen Kosmos, einer eigenen imaginären Welt. In Auseinandersetzung mit den uns alltäglich umgebenden Zeichen, Piktogrammen und Bildern, erweitert durch Produkte der Phantasie, generiert Mullican mittels Wiederholung, Kontextbildung und wechselseitigen Verweisen in seinem Werk eine Art Privatsprache. Mullicans multimediales Oeuvre scheint jeden überschaubaren Rahmen zu sprengen. Enzyklopädisch, utopisch, universell, kosmologisch sind nur einige Begriffe, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängen. Dennoch gelingt es ihm, auf der Basis eines äußerst komplexen Geflechts von Bildern, einer zusehends fragmentierten, globalen Kultur, die nicht zuletzt in der Vielfalt der von ihm verwendeten und vernetzten künstlerischen Mittel Ausdruck findet, Gestalt zu verleihen.

Die Konsequenz und innere Logik seines Gesamtwerkes lässt sich bis zu seinen frühesten Arbeiten zurückverfolgen, beziehungsweise aus jenen herleiten: beispielsweise aus den Coloured Light Patterns (1972/73), Farbtafelbildern, die an Gerhard Richter denken lassen und den Unterschied von leuchtenden und reflektierenden Farben erforschen, den so genannten Bulletin Boards (1974), ordnenden Tafeln in Form von Collagen aus Fotos, Bildern und Texten in der Art von Pinwänden oder den Stick Figures (1973/74), Strichmännchenzeichnungen, in denen er das fiktive Leben der Strichfigur Glen entwirft. In Doll or Dead Man (1974) und der eindrucksvollen Birth to Death List (1973) reflektiert der Künstler Leben und Tod, eines seiner zentralen Themen.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein hat, spielen seine weniger bekannten Performances, die Mullican seit den späten 1970er-Jahren unter Hypnose durchführt, eine grundlegende Rolle im Bezug auf die Genese seines Werkes. Sie verdeutlichen, dass seine Kosmologie einen emotionalen Ursprung hat und bei der Erforschung der Wahrnehmung am eigenen Leib ansetzt. Ein wichtiger Bestandteil der Performances, der für das Verständnis von Mullicans Oeuvre entscheidend ist, ist das vom Künstler wiederholt beschworene "Ins-Bild-Hineingehen". Durch das Eindringen in andere Welten ermöglichen die Performances unter Hypnose dem Künstler, Zugang zum Universellen zu finden bzw. mit anderen Worten, in die Rätsel des Lebens einzudringen, die uralten Fragen der Menschheit nach Gott und der Welt, Himmel und Hölle, Leben und Tod zu beschwören.

Aus den Erkenntnissen seines Frühwerkes entwickelt Matt Mullican seit Mitte der 1970er-Jahre unter dem Titel Charts kosmologische Diagramme und Tabellen sowie Gruppen von piktogrammatischen Zeichen, eine Umsetzung menschlichen Lebens in eminent abstrakte Begriffe. Es ist ihm gelungen, Auszüge seiner Arbeit an den Charts auf einer Vielzahl unterschiedlicher Bildträger zu realisieren. So erscheinen die Zeichen, in Motivgruppen zusammengefasst, als Bilder in Steinplatten eingraviert, aus farbigen Gläsern zu Fensterobjekten zusammengesetzt, als Relief in Kunststein gegossen oder auf Fahnen und Bannern prangend. Seit Mitte der 1980er-Jahre entwirft Mullican Modelle und Pläne imaginärer Städte. Mullicans Städte sind gleichzeitig Karte, Grundriss und enzyklopädische Tabelle. Sie sind abstrakte Prototypen, Versuche einer systematischen Weltaneignung unter Aufbringung aller nur möglichen Methoden und Instrumente, von der einfachen Tabelle bis zur avancierten Computeranimation. In seiner beinahe an Größenwahn grenzenden Komplexität enthält Mullicans Werk einen eigentümlich melancholischen Moment, der den, den modernen Menschen bestimmenden Drang, die Welt zu klassifizieren, letztlich als Utopie entlarvt.

Angesichts dieses Oeuvres erscheint die Beschreibung einzelner Werke wenig aussagekräftig, weil jene nur in ihrem Zusammenhang verstanden werden können, ein Zusammenhang, der durch Wiederholung, Reim, Verbindung und Zeichen zustande kommt: "Die Werke bilden ein sich stets erweiterndes semantisches Geflecht; das Werk ist ein einziges Sinnbild."1

Eine Ausnahme bildet in diesem konkreten Fall ein besonderes Projekt aus dem Jahr 1995, das im Rahmen des renommierten Berliner Künstlerprogramms DAAD entstanden ist und eine bemerkenswerte Gegenüberstellung von Mullicans Arbeiten im geschützten, institutionalisierten Raum der Neuen Nationalgalerie Berlin und im öffentlichen Raum des Bahnhofs Alexanderplatz herbeiführt. Mullican geht auf den jeweiligen Ort in seiner Bedeutung beziehungsvoll ein, einmal, indem er sich (in der Neuen Nationalgalerie) mit der besonderen Architektur Mies van der Rohes auseinandersetzt, im anderen Fall mit der Rückführung seiner piktogrammatischen Zeichen an einen Ort, der als Transitraum auf ein international verständliches Kommunikationssystem aus Zeichen und Symbolen angewiesen ist.

Kurzbiographie:
Matt Mullican: *1951 in Santa Monica, USA. 1974 studierte er am California Institute of the Arts, später in Valencia, Spanien. 1990 Gastprofessur an der Städelschule, Frankfurt. Er lebt und arbeitet in New York.

Ausgewählte Ausstellungen:
Einzelausstellungen: 2005 Museum Ludwig, Köln / 2003 Mai 36 Galerie, Zürich; De Singel, Internationaal Kunstcentrum, Antwerpen / 2001 Fundació Antoni Tàpies, Barcelona; Kunstverein St. Gallen Kunstmuseum, St. Gallen; Krefelder Kunstmuseen, Krefeld; Museion, Bozen; Kunsthalle Basel, Basel / 2000 Galerie Georg Kargl, Wien; Museu de Arte Contemporânea de Serralves, Porto; The Museum of Modern Art, Oxford / 1999 Städtische Galerie im Lenbachhaus, München / 1997 Stedelijk van Abbemuseum (mit Lawrence Weiner), Eindhoven / 1996 Museum Friedericianum, Kassel / 1995 Neue Nationalgalerie Berlin und Bahnhof Alexanderplatz, Berlin / 1994 Secession, Wien; Kunstverein, Hamburg / 1992 Galerie Metropol, Wien / 1991 Kunststichting De Appel, Amsterdam; Rijksmuseum Kröller-Müller, Otterlo / 1990 List Art Center, M.I.T., Cambridge, Mass.; Portikus, Frankfurt/Main / 1989 Hishhorn Museum and Sculpture Garden, Washington DC / 1988 Museum of Modern Art, New York / 1984 Centre d`Art Contemporain, Genf / 1978 The Kitchen, New York / 1976 Artist Space, New York / 1973 Project, Inc., Boston.

Gruppenausstellungen: 2004 Global World/Private Universe, Kunstmuseum St. Gallen, St. Gallen / 2003 Mapping a City: Hamburg-Kartierung, Kunstverein, Hamburg / 2002 Der Larsen Effekt. Prozesshafte Resonanzen in der Zeitgenössischen Kunst, Casino Luxembourg Forum, Luxemburg und O.K. Centrum für Gegenwartskunst Oberösterreich, Linz (2001) / 2001 Digital Printmaking Now, Brooklyn Museum of Art, Brooklyn / 2000 Orbis Terrarum, Museum Plantin-Moretus and Surroundings, Antwerpen / 1998 Artranspennine98, Tate Gallery, Liverpool / 1997 Dokumenta X, Kassel; Lost in Space, Kunstmuseum, Luzern / 1996 Under Capricorn, Stedelijk Museum, Amsterdam / 1995 Pittura/Immedia, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum und Kunsthaus, Graz / 1992 Documenta IX, Kassel; Transform: Bild Objekt Skulptur im 20. Jahrhundert, Kunsthalle und Kunstmuseum, Basel / 1989 Image World: Art and Media Culture, Whitney Museum of American Art, New York / 1987 L`Epoque, La Mode, La Morale, La Passion, Centre George Pompidou, Paris; Skulptur Projekt Münster, 1987, Münster / 1985 Made in India, Museum of Modern Art, New York / 1982 Return to Artists Space, Artists Space, New York; Documenta 7, Kassel / 1981 The Kitchen, New York.

Ausgewählte Publikationen:
DC: Matt Mullican: Learning from that Person`s Work, Köln 2005; Matt Mullican: More Details from an Imaginary Universe, Turin 2000; Matt Mullican: Works 1972-1992, Köln 1993.

Abbildungen:
Performance: Under Hypnosis, The Kitchen, 1982
Untitled, 1990
Courtesy Matt Mullican

1) Marianne Brouwer, "Die Taten des Herkules"; in: Matt Mullican: Works 1972-1992, Köln 1993, S. 18.


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